“Wer Visionen hat sollte zum Arzt gehen!” ist vermutlich eines der bekanntesten Zitate von Altkanzler Helmut Schmidt. Bis vor wenigen Jahren hätte ich dieser Aussage vorbehaltlos zugestimmt. Visionen? Alles Blödsinn! Punkt. Artikel beendet!

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Meine Position hat sich inzwischen gewandelt, denn ich habe verstanden: starke Gemeinschaften formen sich erst dann, wenn es ein gemeinsames Leitbild gibt. Etwas, wofür jeder Einzelne und alle gemeinsam alles geben. Eine Idee und ein Vorhaben, mit dem sich alle Beteiligten möglichst zu 100% identifizieren können. Genau das macht es so schwer, ein ebenso einprägsames wie authentisches Leitmotiv zu finden. Wie genau muss denn ein Motto aussehen, dem sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur verpflichtet fühlen, sondern dem sie sich auch mit Herzblut und eigener Überzeugung widmen? Ganz ehrlich: ich persönlich hatte nie die Ambition “technologischer Weltmarktführer” zu sein. Mir erscheint es auch überhaupt nicht erstrebenswert unter den “Top 5 Playern” in welchem Markt auch immer zu sein. Und ich habe große Zweifel daran, dass über 600.000 weltweit für die Volkswagen Gruppe tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich dafür brennen  “... ein weltweit führender Anbieter nachhaltiger Mobilität” zu sein. Offen gestanden wäre mir als Mitarbeiter dieses Vision Statement sogar richtiggehend peinlich! Was bitte ist denn überhaupt nachhaltige Mobilität? Will Volkswagen tatsächlich das Perpetuum Mobile erfinden und glaubt ernsthaft, dass dies ein realistisches Leitbild für das Unternehmen ist? Der für Wartungsarbeiten zuständige Techniker im Brasilianischen Werk wird damit vermutlich nur wenig anfangen können. Dieses Vision Statement ergibt für ihn schlicht keinen Sinn.

Gute Visionen sind einerseits greifbar und gehen andererseits über das hinaus, was der Unternehmer oder die Anteilseigner als persönliche Interessen haben. Insbesondere kann alles, was in irgendeiner Form mit Rentabilität für die Unternehmer zu tun hat, für die Mitarbeiter eher ein Hemmnis sein. Intrinsische Motivation lässt sich nur generieren, wenn auch die Bedürfnisse der Beschäftigten in der Vision berücksichtigt werden? Gelingt es, diese Bedürfnisse, das Leistungsspektrum des Unternehmens und die Interessen der Geschäftspartner unter einen Hut zu bringen, stellt sich der wirtschaftliche Erfolg von ganz alleine ein.

Und noch etwas ist wichtig: halten Sie das Leitbild möglichst einfach! Komplizierte Merksätze, vielleicht gespickt mit Anglizismen und Modewörtern (z.B. “nachhaltig”, siehe oben), wirken eher konstruiert, aber keinesfalls authentisch. Warum also nicht einmal etwas ganz schlichtes? Mein Vorschlag:

Wir haben Spaß!

Ja, ja, ich weiß schon: das ist Ihnen viel zu banal! Außerdem hat es absolut gar nichts mit Ihrem Unternehmen und Ihren Produkten oder Dienstleistungen zu tun. Und überhaupt: die Firma ist doch kein Vergnügungspark! Also ehrlich!

Ehrlich? Ist sie nicht? Ihren Mitarbeitern bereitet es kein Vergnügen ihren Job zu erledigen? Ihre Leute machen das was sie tun nicht gerne? Das ist nicht nur traurig, sondern auch sehr schlecht. Für den Mitarbeiter und für Ihr Unternehmen. Denn nur das, was wir gerne machen, machen wir auch richtig gut! Und das ist es doch, was Sie und vor allem Ihre Kunden wollen, oder? Gute Arbeit!  Es gibt Buchhalter, denen es Spaß bereitet die Warenrechnungen pünktlich zu buchen und zu bezahlen. Kolleginnen im Vertriebsinnendienst sprechen hoffentlich sehr gerne mit den Kunden und drücken diese Begeisterung auch aus. Ein IT Kollege, dem die Leidenschaft für Technik anzumerken ist, wird Problemstellungen vermutlich schneller lösen. Der Kollege in der Produktion findet vielleicht seine persönliche Erfüllung darin, dass seine Werkstücke 100% passgenau und vorbildlich gearbeitet sind. Natürlich, es ist eher schwierig einer Reinigungskraft Freude an der Tätigkeit an sich zu vermitteln. Aber warum kann sie nicht dennoch mit Spaß dabei sein? Schlicht, weil es das Umfeld erlaubt und fördert.

Bewegt uns nicht alle manchmal eine sehr simple aber letztendlich entscheidende Frage: warum mache ich das alles hier eigentlich? Und ist es nicht großartig, darauf antworten zu können: na, weil ich Spaß daran habe! Spaß an der Tätigkeit an sich. Spaß an guten Arbeitsergebnissen, einer tollen Präsentation, einem erfolgreichen Geschäftsabschluss oder schlicht dem Lob der Kollegen. Freude an der Anerkennung des zufriedenen Kunden. Glück, das man selbst empfindet, wenn man jemand anderen glücklich gemacht hat, zum Beispiel als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation.

Intrinsische Motivation ist der entscheidende Faktor für gute Arbeit. Egal, um welche Tätigkeit es sich dabei handelt. Und daher ist es auch völlig egal, dass dieses Leitbild nichts mit Ihrem Produkt oder Ihren Services zu tun hat. In erster Linie geht es doch um die  Wertschätzung für Ihre Mitarbeiter  (“Wir wollen, dass ihr gerne hier seid und Spaß an der Arbeit habt!”) und Ihre Geschäftspartner (“Wir machen das gerne für Sie!”).  Wofür haben Sie denn ein Leitmotiv formuliert? Doch wohl um in eine bestimmte Richtung anzuleiten beziehungsweise anzuführen. Es geht um nichts geringeres als Leadership, also darum, dass Menschen Ihnen folgen sollen. Freiwillig und begeistert! Ich könnte mir für mich viele Gründe vorstellen, warum ich jemandem folgen sollte: Menschen retten, Kinder glücklich machen, Erwartungen übertreffen, Hunger stillen, Spaß haben, Bedürfnisse befriedigen oder Natur und Umwelt schützen und Ressourcen schonen. Aber doch bitte nicht

“... ein weltweit führender Anbieter nachhaltiger Mobilität” sein. So etwas taugt bestenfalls als strategisches Ziel Und hier, im strategischen Plan, können und sollen Sie dann auch gerne den Bezug zum Leistungsportfolio Ihres Unternehmens herstellen.

“Wir haben Spaß!” bedeutet nicht, das Unternehmen zur Partyzone zu machen. Es geht nicht um endlose Kaffeekränzchen, Tippspiel-Runden oder lustige Versammlungen. Es bedeutet, die Dinge die wir tun mit Begeisterung und Freude zu tun. Vielleicht sogar noch etwas mehr: wäre es nicht eine starke Botschaft an Ihre Kunden zu sagen, dass Sie nur Dinge machen, die Ihnen Spaß machen (“Lieber lehnen wir einen Auftrag ab, als ihn widerwillig zu akzeptieren und mit angezogener Handbremse abzuarbeiten”). Sie glauben das ist Träumerei? Ja, stimmt. Denn manchmal gibt es wirtschaftliche Zwänge und man kann sich den Luxus einer solchen Haltung nicht immer erlauben. Dem Leitbild wird man eben nicht immer zu 100% gerecht werden können. Aber das gilt für jedes Vision Statement. Und realistischer als ein Perpetuum Mobile ist “Wir haben Spaß!” allemal!

In diesem Sinne: haben Sie Spaß!

Uwe Schoumakers